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Foto: Britta Schönemeyer

Momentaufnahme aus dem Berliner »Café Schätzchen«: Natias Neutert liest innerhalb seines — ansonsten wie immer  in Form freier Rede gehaltenen — kunst-philosophischen Vortrags zum Thema Sich die Freiheit nehmen untige kurze Passage  aus seinem Essay Wo sind wir, wenn wie 'im Bilde' sind? Differenziale der Einbildungskraft vor.  Bei seinen in Form freier Rede gehaltenen Vorträgen geht es, was Sprachspiel, Semantik und Stil betrifft, nicht einfach nur nur um Worte und Begriffe  selber, sondern um  den Ton, die Modulation und das Temperament, mit denen  gesprochen wird — kurzum die Musik hinter den Worten, die Leidenschaft hinter dieser Musik, die Person hinter dieser Leidenschaft.

A snapshot from the Berlin »Café Schätzchen«:  Natias Neutert reads a short passage from his essay (Where are we when we are within the picture? Differentials of the Imagination) — during his lecture Sich die Freiheit nehmen (Taking freedom),  which otherwise — as always—  takes the form of a speech without notes. In terms of language play,  semantics and style, his  free speech lectures are not simply about the words and concepts themselves,  but about the tone, modulation and temperament with which they are spoken  —  in short, the music behind the words, the passion behind this music, the person behind this passion.                                                                                                



 

 

Was nun die im Plural eher rhetorisch gestellte Titelfrage Wo sind wir, wenn wir im Bilde sind? betrifft, möchte ich sie vorerst im Sin-  gular beantworten. — 

Ich sehe mich noch 'wie heute'  im Bett liegen, als Vierjähriger,  schwer krank, mit gefährlich hohem Fieber, allein in einem weißgekalkten, engen und völlig isolierten Einzelzimmer, wie ein flügellahmer Spatz in einem Schuhkarton. Auße einem tagsüber, durch ein winziges Loch im Vorhang gelegentlich aufblitzenden Sonnenreflex und außer dem rötlichen Widerschein einer Notlicht-lampe  oberhalb der Tür,  die des Nachts wie ein Glutkern  glühte,  war  der  vergilbte Tonholzstich der  Ruisdael’schen »Weizenfelder« an der Wand hinter Glas mein einziger Lichtblick.

Da bin ich Stunde um  Stunde, Tag für Tag im Bilde gewesen, bis ich dem Blätterrauschen, Windhauch und Vogelschrei zu lauschen vermochte und das sanfte Wogen der Weizenhalme im Wind wahrnahm, und weiter und immer weiter ins Innere des Bildes hineingewandert bin, so tief hinein, dass es mir im Augenblick vorkommt, als wäre es mir damals um ein Pinselkhaar beinahe so ergangen wie  jenem legendären chinesischen Maler, der in seinem eigenen Bild verschwunden sein soll.

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Kleine Leseprobe aus Wo sind wir, wenn wir  'im Bilde' sind? Differenziale der Einbildungskraft. Lilienstaub & Schmidt, Berlin 2014, S. 13.

Excerpt from Wo sind wir, wenn wir 'im Bilde' sind? (Where are we when we are within the picture? Differentials of imagination), Lilienstaub & Schmidt, Berlin 2014.

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